OT: Zoo. Письма не о любви или Третья Элоиза (1923)
Aus dem Russischen von Olga Radetzkaja
Nachwort von Marcel Beyer
189 Seiten, € 22 [D] | € 22,70 [A]
Gebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen
ISBN 978-3-945370-34-6
Viktor Schklowski (1893–1984) schrieb »Zoo. Briefe nicht über Liebe, oder Die dritte Heloise« Anfang 1923 in Berlin, wo sich zu der Zeit eine ganze Kolonie russischer Autoren und Künstler aufhielt. Schklowski hatte sich in Alja (Elsa) Triolet verliebt (die Schwester von Majakowskis Geliebter Lilja Brik wurde später als französische Schriftstellerin bekannt), stieß jedoch nicht auf Gegenliebe. Da Alja ihn auf Distanz hielt, schrieb er ihr Briefe, die auf Wunsch der Adressatin aber nicht von Liebe handeln durften. Aus dieser Spielregel entstand ein höchst ungewöhnliches Buch, in dem reales Dokument und Fiktion unmöglich auseinanderzuhalten sind – eine flirrende literarische Illusion. »Zoo« erschien noch 1923 in Berlin: Es wurde Schklowskis größter literarischer Erfolg.
Der verliebte Korrespondent macht aus der ihm diktierten Auflage das Beste: Seine Briefe erzählen vom mühsamen Alltag im Exil, von Streifzügen durch die deutsche Metropole und ihre Kunstszene, aber auch vom Heimweh nach Russland und den politischen Umbrüchen der Zeit. Doch wo es nirgends um Liebe gehen soll, handelt zugleich alles von ihr – Schklowskis und Triolets Briefe sind durchdrungen von Sehnsucht und Begehren. Traurig und komisch, ironisch und paradox: Olga Radetzkajas Übersetzung zeichnet Schklowskis oft abrupte Tonart- und Themenwechsel in ihrer Übersetzung präzise nach und legt die literarischen, biografischen und politischen Schichten des Textes frei. »Zoo« ist ein raffiniertes Vexierspiel, das tänzelnd alle Genregrenzen sprengt – und zugleich ein berührender Einblick in das Liebesleid eines unglücklichen Berliner Exilanten.
2022 wurde das Buch auf der Frankfurter Buchmesse mit dem Preis der Hotlist 2022 ausgezeichnet.
»Dass ›Zoo‹ eine einzige Abweichung und ein grosses Verwirrspiel ist, ist charakteristisch für die formalistische Schule, die Schklowski wesentlich mitbegründete. 1915 ins Leben gerufen mit dem Anspruch, die bislang subjektivistische Literaturtheorie auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen, betrachteten die Formalisten die Literaturgeschichte vor allem als lange Kette der produktiven Enttäuschung von Lesererwartungen. Es sei die moderne Mission des Schriftstellers, dem Leser immer wieder neue Reize zu bieten und damit seine Aufmerksamkeit zu binden. Der Regelverstoss bringt für Schklowski die ›literarische Evolution‹ überhaupt erst hervor. (…) Viktor Schklowski verwandelte seine Abneigung gegen die deutsche Hauptstadt Berlin in grandiose Literatur.«
Judith Leister, Neue Zürcher Zeitung
»Schklowski ist mit Roman Jakobson in die Geschichte der russischen Literaturtheorie und Linguistik eingegangen, hat Stalin überlebt, Nadeshda Mandelstam hat Gutes von ihm in Erinnerung, was Freundschaft betrifft, er hat viel publiziert – doch dieser Band ist ein einmalig verwirrendes Juwel! Olga Radetzkaja beginnt ihr Nachwort, das man vorher lesen sollte: ›Also der Reihe nach, so weit das möglich ist.‹ Es ist nicht möglich, es ist besser, sich sofort in die Liebe und das Berlin von 1923 stürzen.«
Bücherbriefe, Schleichers Buchhandlung
»Dieses kleine Buch ist etwas Besonderes. (…) Es wandelt sich fast auf jeder Seite: Es ist Dramolett, Märchen, Feuilleton, Kürzestessay, ästhetische Kleinstbetrachtung, Selbstgespräch mit einem fernen, zurückgelassenen Ich und auch Flaneursroman zu einer Zeit, da Berlin noch nicht literarisch wundgetrampelt wurde. (…) Schklowski schreibt diese Briefe in bestürzend wundervollen, lakonischen Sätzen, man könnte sie spröde nennen oder sehr präzise, sie fallen manchmal auf die Seite wie einzelne Schneeflocken und bleiben dort liegen.«
David Hugendick, Die Zeit
»Ein sehr seltsames und bemerkenswertes Buch: (…) Die Beschreibung der alltäglichen Befindlichkeiten des Erzählers, ausführlich-sachkundige Beschreibungen von Rennautos, Vignetten über Berliner Konditoreien, Impressionen aus billigen Pensionen auf der Kaiser- (heute Bundes-) Allee, Erwähnungen der ›Prager Diele‹ in Schöneberg, wo Schklowski Maxim Gorki, Ilja Ehrenburg, Vladimir Nabokov, Boris Pasternak und Marina Zwetajewa treffen konnte, Bemerkungen über Mode, ein Exkurs zur Trivialität der Bilder Marc Chagalls, Beobachtungen in Nachtklubs und Sachstandsmeldungen über das Wetter in Berlin lassen ein reizvolles und überraschend zeitgenössisch wirkendes Panorama der frühen Berliner Zwanzigerjahre entstehen. (…) Dem Guggolz Verlag ist wieder eine neue Entdeckung der zu Unrecht vergessenen russischen Emigrationsliteratur zu danken, der Übersetzerin Olga Radetzkaja die Neuübertragung in ein plausibles und ganz zeitgenössisches Deutsch.«
Stephan Wackwitz, taz
»Dieses eigenwillig schöne Buch vom verliebten Emigranten, dem die Angebetete zwar erlaubt, ihr zu schreiben, aber nicht über Liebe, hat selbst eine spannende Biografie. (…) Rätselhafterweise war dieses wunderbare Buch ein Vierteljahrhundert lang nur antiquarisch zu bekommen. Auf alle, die es aus früheren Übersetzungen kennen, wartet das große Glück einer ganz neuen Lektüre. Nicht nur, dass Olga Radetzkajas deutscher Schklowski brüchiger, sprunghafter, unberechenbarer wirkt als sein Vorgänger. Sie hat sich auch für eine andere Textvariante entschieden.«
Hans von Trotha, Deutschlandfunk Kultur
»Ein ganz und gar eigenartiges kleines Buch, das 1923 im Exil, in abgewandelter Form dann 1924 erstmals in der Sowjetunion erschien. (…) ›Zoo‹ ist ein Buch, das sich ausgibt als ›Briefroman‹, wobei sowohl ›Brief‹ als auch ›Roman‹ einzeln ebenfalls Anführungszeichen verdienten. Einen herkömmlichen Liebes- oder Briefroman hätte ein radikaler literaturtheoretischer Neuerer wie Schklowski selbstverständlich nicht schreiben können.«
Katharina Granzin, Frankfurter Rundschau
»Er schreibt über die Liebe, obwohl er sie nicht nennt, er schreibt über das Begehren, über die Sehnsucht. (…) Es ist ein Roman über Exilerfahrung, auch ein Stadtroman, ein eindrucksvolles literarisches Werk der Moderne. Schklowski spielt mit Realität, Imagination und schafft ein literarisches Vexierbild.«
Manuela Reichart, rbb Kultur
»Zugänglich und harsch, raffiniert und jäh, im Duktus mal ironisch verspielt, mal bitter, mal einsam – die 29 Briefe, zwischen Entblößung, Zeitkommentar, Mini-Essay und Märchen oszillierend, sind eine emotional-intellektuelle Achterfahrt, ein kaleidoskopisch konstruiertes Pasticcio, das sich noch heute ausnehmend lebendig, regelrecht faszinierend liest.«
Alexander Kluy, Buchkultur
»Schklowskis Buch löst beim Leser nicht zuletzt deshalb große Faszination aus, weil es sich jeder Gattungsbestimmung entzieht; es ist, trotz des Titels, ein Briefroman über die Liebe, ein Mosaik an Beobachtungen aus der fremden Stadt, eine Sammlung von Erzählfragmenten und literaturtheoretischen Passagen. (…) Ein Zufall der Verlagsplanung will es, dass ausgerechnet in diesen Tagen zum ersten Mal die Originalfassung des Buches ›Zoo: Briefe nicht über Liebe, oder Die dritte Heloise‹ von Viktor Schklowski in deutscher Sprache erscheint, in vorzüglicher Übersetzung von Olga Radetzkaja. Es ist eines der eindringlichsten literarischen Zeugnisse über das Leben im Exil überhaupt.«
Andreas Bernard, Süddeutsche Zeitung